Flottes Sommer-Theater 2011 auf dem Weißen Hirsch
Hexe Baba Jaga ist in Dresden ein eingeführter Begriff. Dank Rainer König in der Titelrolle und dem begnadeten Ensemble der Komödianten vom WTC. Premiere war am 17. Juni, zeitgleich mit der Bunten Republik Neustadt. Das Theater war voll.
Dimension eins: Die Höhe der Geschichte
von Reinhard Heinrich
Überrascht: Baba Jaga erneuert eine alte Bekanntschaft |
Baba Jaga I. zeigte einstmals 2005 in der Komödie, dass im russischen Märchenwald was schiefgehen kann, auch schief geht. Das war genialer Klamauk für Kinder von 5 bis 105 - als Zimmerttheater - und ein bißchen Handlung. Deutlich über den ebenfalls sehr erfolgreichen Teil 2 hinaus hat nun die TW.O GmbH um Marten Ernst mit “Baba Jaga und der Bart des Drachen” eine Produktion auf die Open-Air-Bühne am Konzertplatz Weißer Hirsch gezaubert, die alles bisher gewesene um Längen übertrifft. Und das gleich in mehreren Dimensionen. Die Geschichte um die irre Hexe (von Michael Kuhn und Georg Wintermann) ist gereift - ähnlich, wie die Olsenbanden-Filme ab dem dritten Teil ihre Charaktere ausgeformt und die Suche nach festen Punkten in ihrem Universum mit Erfolg abgeschlossen hatten. Niemals wieder wird eine Baba Jaga-Inszenierung ungestraft hinter dieses Niveau zurück gehen können.
Drache Rasputin will doch nur spielen ...
Hatte die Fabel des ersten Stückes tatsächlich noch den Umfang eines recht simplen Such- und Finde-Spiels (immerhin jeder Krimi funktioniert auf diese Weise), so ist die Suche nach dem Bart des Drachen nicht nur einfach komisch, unter anderem, weil der Bart des Drachen mit seinem ersten Auftritt sofort zu sehen ist - nur Zuschauer wie Bühnenhelden merken es natürlich nicht - sondern auch tiefsinnig, humorvoll - und ein bißchen rührend, was die Liebesgeschichte betrifft. Der Drachentöter Vitali ist so herrlich unbedarft, dass wir sofort vom russischen Wanja bis zum teutschen Siegfried alle tumben Toren mit sehen, die jemals im Heldengeschäft aktiv waren. Nicht nur Klamotte, sondern auch feine Ironie zeigt der Darsteller Paul Schaeffer - je heldischer, um so komischer - und nimmt sich doch ganz ernst - und kriegt auch wirklich die Prinzessin (mächenhaft ätherisch: Bianca Warnek). Soviel kann man ja verraten. Besonders köstlich: Der Recke bei der Pflege seines Heldenkörpers. Zum Brüllen! Den Rahmen bildet ein unterbrochener Hexen-Flug aus Russlands Weiten in den Harz - zum Hexentanzplatz auf dem Brocken. Womit auch unser Bedürfnis nach europäischer Integration hinreichend befriedigt wird. Irgendwie kommt Baba Jaga hin - aber wie, das ist eigentlich Nebensache.
Dimension zwei: Die Tiefe der Bühne
Drache Rasputin will doch nur spielen ... |
Die wohlgeformte Konzertmuschel fügt sich gefällig ein in den Rand der Dresdner Heide, sanft eingebettet zwischen Spielplatz und Restaurant-Garten. Das Stück jedoch sprengt jeden Rahmen - und es ist immer noch Platz übrig. Da ist der russische Wald - mit seinen riesigen Fliegenpilzen unter jungen Birken. Alles echt gemalt. Und die Hütte natürlich, wo die Märchenerzählerin Babuschka (Ulrike Mai und künftig auch Angelika Mann) ihre Fensterläden aufmacht und die ganze Geschichte vorantreibt. Da ist die “endlose russische Weite” zwischen den Bäumen der Dresdner Heide, wo die Helden rasten und aneinander vorbei irren. Und die Konzertmuschel mittendrin: Als Platz für Prospekte und Maschinen, die uns den Wald, den Zarenpalast und die Drachenhöhle sichtbar machen. Eine adäquate Verwendung von Natur und Gebäude, wie sie auch auf der Felsenbühne Rathen nicht besser gelingt. Nebenbei: Das Stück hat sowieso das Zeug dazu, eines Tages auf der Felsenbühne zu erscheinen.
Dimension drei: Die Weite der Sprache
Uratio macht vielleicht was mit - Dank Baba Jaga |
Gegen Ende, als die dramatischen Hauptfragen einigermaßen gelöst sind und man auf der Bühne zum geselligen Teil übergehen kann - zur großen Hochzeit, von der wir dann alle noch lange erzählen werden - lassen die Autoren die große russische Sau - äh, Seele - endgültig raus: Es wird gesungen, als hätte sie alle Wodka getankt. Lauter herrliche Worte, die der Dresdner beim zweiten Hören fast mühelos mitsingen könnte - Dostoprimetschatjelnosti sei nur als eines treffendsten und schönsten von ihnen genannt.
Nicht unerwähnt soll aber auch der charmante Akzent jener Dame bleiben, die die Pausen ankündigt und insbesondere zu Beginn daran erinnert, das wieder Einschalten der Handys nach der Vorstellung nicht zu vergessen. Das ist großes Theater en Detail. Vollendung. Chapeau!
Das mag jetzt mathematisch übertrieben klingen, aber theatralisch ist es die reine Wahrheit: Kulturkreise werden in diesem Stück übereinander gelegt und passend gemacht, die es sich nie hätten träumen lassen. Wovon alle wissen, dass es unvereinbar ist - hier wird das kleinste natürliche Gemeinsame offen gelegt. Und wenn es ein Mutterschaftstest für Ali Baba ist. Zar Wladimir der Zarte (Andreas Rüdiger) verspricht dem vitalen Vitali fürs Drachentöten einen ruhmreichen “Titel “ - aus dem Boxsport.Auch das Bühnenbild (Gerd Hänsel) persifliert und karikiert, wo immer es nur kann. Reihenweise fallen die Gerippe von der Wand, wenn der Profidrache Rasputin (Jürgen Mai) zum Kampf die Schwerter herauszieht, mit denen sie befestigt sind. Jewgeni Schwarz lässt leise grüßen. Die schwierigen Aufgaben am Eingang zum Drachenreich lösen am leichtesten die, die es am wenigsten brauchen - a la Dschungelcamp. Der Recke allerdings versagt vorerst. Die Amme der Prinzessin (auch Ulrike Mai/später Angelika Mann) dagegen kommt gänzlich ungeschoren durch - mittels Ignoranz des Heldischen. Wie im richtigen Leben. Vielleicht auch wegen
Dimension fünf: Die breite Artenvielfalt
Waren schon immer Bären, Hexen, Geister und Menschen im Zauberwald anzutreffen, so hebt Regisseur Olaf Becker nun endgültig das biologische Gleichgewicht am Theater auf eine neue Ebene: Damit die Amme mit ihren Möpsen brillieren kann, sind eigens zwei solcher rundlichen Vierbeiner mit von der Partie. Sie haben keine großen Kunststücke zu machen, aber sie bereiten das Publikum schonend auf das vor, was dann noch an Menagerie kommt. Zum Schluss jedenfalls reist Baba Jaga auf einem Kamel durch den Zauberwald, bevor sie ihrem Sohn den fliegenden Teppich stibitzt. Tiere auf der Bühne - in einer Handlung, die nicht einfach mal kurz stehen bleiben darf - sind eine riskante Sache. Erfahrene Zuschauer wissen das und zittern mit. Szenenapplaus für die Dressuren kam ganz selbstverständlich. Ziemlich zuletzt erfährt der Zuschauer - zugleich mit der Hexe - etwas grundlegendes über die Anatomie von Drachen: Die haben gar keinen Bart. Aber es findet sich doch einer - und alles wird gut.
Die Konzertmuschel 2010 |
"Bean and Beluga” sind die zwei Dimensionen, in denen sich die Küche (das Universum!) von Sternekoch Stefan Hermann ausdehnt. Von Bohnen bis Kaviar also - und alles zu seiner Zeit und am richtigen Tisch. Und da die Konzertmuschel auf dem Weißen Hirsch keine Spielstätte wäre ohne das Engagement dieses Gastronomen, sei zur edlen “Theaterkantine” bemerkt: Aufmerksamste Bedienung, Wunscherfüllung wie im Märchenwald - und leckeres wie deftiges Essen sind Standard. Private Bemerkung: Der kalte Hund (hausgemacht!) schmeckt unvergleichlich. Man muss es probiert haben.
Georgi Franzewitsch Milljar als Film-Baba Jaga 1964 (zum Vergleich) |
Alle Termine und weitere Informationen unter http://www.hexe-babajaga.de.
Auch Baba Jaga Teil 1 und 2 werden in diesem Sommer zwischendurch mit aufgeführt - für Nachzügler.
Es ist gut so ein interessantes Thema wie dieses im Internet heutzutage zu finden. Ich war sehr an dem interessiert was du uns mitgeteilt hast. Danke für das auf jeden Fall.
AntwortenLöschenNa das freut mich doch.
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