Samstag, 29. Januar 2011

Zwischen Margarethe und Sulamith der Tod

Wie junge Darsteller in Dresden den Nazi vorführen - und die Opfer ehren
von Reinhard Heinrich
Nun ist er ja gottlob vorbei - der Tag von Auschwitz - und wir haben wieder ein Jahr Ruhe vor dem Grauen - denkt der Spießbürger, der zu "so etwas" sowieso nicht hingeht.

Dieses "so etwas" war überaus gut besucht in seiner vorerst(?) letzten Aufführung im Theaterhaus Rudi am 28. Januar 2011.

SPIELT SÜSSER DEN TOD ist (war) ein szenisch-musikalisches Projekt, zu dem man in Dresden im Zeitraum zwischen der Jiddischen Musik- und Theaterwoche und dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus in sieben Aufführungen gehen konnte. Die Premiere im Herbst war gut besucht - und die Derniere im Januar praktisch überfüllt. Klappstühle herein holen, bestuhlte Seitenbühne öffnen, alles wurde getan, um Besucher nicht abweisen zu müssen. Traum aller Theaterleute.

Die dann doch auf der Bühne den Alptraum spielen müssen. Die bedrückende Atmosphäre des Todeslagers. Die Getöteten und die Totschläger. Das geht nur in Verfremdung und der Dichter Paul Celan hat damit (wahrscheinlich schon 1944) mit seinem Gedicht TODESFUGE begonnen. Und der Dichter, Regisseur und überhaupt Theatermacher (von Schicht- bis Rocktheater Dresden) Bernd Rump (Jahrgang '47) hat 2010 aus sehr persönlichen Gründen daraus ein Stück auf die Bühne gebracht.

Das Ensemble aus Schauspielern und Musikanten (worunter ich die Sängerin Eleonora Gerisch und die Tänzerin Sonja Castellanos zähle) hat ganze Arbeit geleistet. Engagiert und unter hohem körperlichem und stimmlichem Einsatz stellen sie die absurdesten Situationen dar: Menschen, die praktisch schon tot sind, obwohl sie noch so viel zu leben hätten. Und wie sie die Bedrohung reflektieren, die sich am Ende auch praktisch verwirklicht.

Der in Paul Celans Gedicht namenlose Täter wird bei Rump sehr konkret zum SS-Arzt Mengele, überzeugend und schaurig-gewinnend gespielt von Martin Rosmanith, der schon 2005 im gleichen Theater in Cabaret den Muster-Nazi gab. Und dem man abkaufte, dass ihm 1933 einige Millionen ganz normaler Leute nachgelaufen sind. Eben so glaubwürdig war er auch jetzt in seinem schmutzig-weißen Lackmantel, überaus kultiviert zwischen Bachs Fugen (selbst virtuos am Flügel spielend) und Goethes Faust mit der Todesspritze hantierend.

Überhaupt die Ausstattung: Von keinem geringeren als dem unlängst sehr berühmt gewordenen 27-jährigen Kunststudenten und Preisträger der Hamburger Leinemann-Stiftung Marcel Walldorf entworfen und "gebaut",  gibt sie den schmutzig-strengen Rahmen für das Unwirkliche und doch Geschehene. Ich hatte zuvor nicht gewusst, dass die Farbe Weiß so abstoßend, ja bedrohlich wirken kann. Hier tut sie es.

Nur scheinbar als "Verzierung" lässt Celan in seinem Gedicht eine "Margarethe" auftreten, lediglich als Empfängerin von Briefen "von der völkischen Front", wo der SS-Mann so pflichtbewusst "ethnisch säubert". Ich weiß, so hieß das damals noch nicht. Aber heute darf man es so verstehen. Rump lässt sie als Person auftreten - und es ist ein Gewinn. Diese Staune-Augen unter dem blond-geflochtenen Haarkranz, nichts so ganz verstehend - und auch nicht ganz verstehen wollend: "Die deutsche Frau" schlechthin. Ein Bogen, gespannt von Faustens Gretchen fast bis zu Eva Braun.

Ein bißchen fragen - aber nicht zu viel - treudeutsch und sehr unschuldig zwischen rauchenden Öfen. Das leistet überzeugend, geradezu hinreißend Anja Hauptmann in elegantem rotem Kleid - das einzige Rot auf der Bühne, "was es erträglich macht" - wie ein Zuschauer fand. Walldorf eben. Die Hauptmann (wie es vielleicht später einmal heißen wird) findet das rechte Maß im Pendeln zwischen Dummchen und Schlange - und findet am Schluss sogar ein wenig heraus aus dem Dilemma. Ein kleines Stück Sympathie gewinnt sie (in der Rolle) beim Publikum, als sie überraschend dem SS-Mann sagt "... mir graut vor Dir!" Diese Distanzierung hat natürlich Rump da hin geschrieben, weil der Zuschauer sie braucht. Es muss wenigstens einmal ausgesprochen werden. Und da sind Gretchens letzte Worte aus Goethes Faust nicht zu gering.

Ein Fotograf dieses Grauens kommt bei Celan nicht vor. In Rumps Adaption schon. Und dem Darsteller  Karl Weber kauft man es ab. Es muss ja einen gegeben haben im Lager. Und er musste sie alle überleben - und damit fertig werden. Karl Weber, ein Urgestein des Rocktheaters, spielte seine Part gewohnt souverän. Wie auch all die anderen Personen, in die praktisch jeder Darsteller gelegentlich zu schlüpfen hatte.

Hervorzuheben wäre noch Sonja Castellanos, die in ihre getanzte Verzweiflung und Aussichtslosigkeit noch immer eine Hoffnung und Ästhetik zu legen weiß, wie man sie selten sieht. Und sie war Sulamith, die schöne Geliebte aus dem Hohelied Salomo - jüdisch, exotisch, attraktiv - und eben deshalb sichtlich Gegenstand (!) eiskalten Interesses von Seiten des Bösen. Der sie als Salome wollte. Anmut gegen Morbidität.

Anrührend spielte auch Marianne Steinhagen diverse Kinder - von Gott bis zum Zigeunerkind. In der Hilflosigkeit ist da kein Unterschied.

Die Projektion der via Film Original-Celan-Text rezitierender Schauspielschüler der Kunstuniversität Graz  gibt den Darstellen von Zeit zu Zeit eine  Pause. Den mit Celan gewöhnlich nicht so vollständig  vertrauten Zuschauer führt sie zurück zum Text und erregt auch ein Nachdenken über die Herkunft des Ver-Führers,  der doch wohl wenigstens einen Koch - sowie SS-Ärzte - bei sich hatte.

Zu wünschen wäre, dass diese Aufführung nicht so einfach in der Versenkung verschwindet. Video-Mitschnitte dokumentieren zwar die Inszenierung, aber die unmittelbare Lebendigkeit des Geschehens ist nicht zu ersetzen. Und das Thema ist aktuell angesichts der Abwiegler und Schlussstrichzieher.

Bernd Rump hat sich die Auseinandersetzung mit der Generation unserer Eltern und Großeltern von der Seele geschrieben. Die jungen Darsteller haben in den Rollen fremder, sehr fremder (und lange toter) Menschen eine ungewöhnliche Erfahrung machen können. Und die Zuschauer sollten eine neue Sicht auf unsere Geschichte gewonnen haben, auf unsere nächsten Vorfahren, gemessen an historischen Zeiträumen.

Vorstellbar wäre für mich eine Aufführung des Stückes zu den ersten Jüdischen Kulturtagen in Lübeck. Vorstellbar, aber wohl nicht finanzierbar. Gut, dass es überhaupt Förderung gab. Wer sagt denn, dass Schauspieler auch essen müssen? Das war jetzt sarkastisch gemeint.

Und weil Kunst ein Zuschussgeschäft jeder Gesellschaft ist und also von den gesellschaftlichen Geschäftsgebaren  - und der Geschäftskultur - jeglicher Gesellschaft abhängt, werden wir dieses Stück - und in dieser Besetzung - so leicht nicht wieder sehen.

Deshalb ist diese Theaterkritik so ungewohnt ausführlich.
Und - weil der Eindruck so tief war.

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