Montag, 10. Juli 2017

Zirkus und Traditionen

En Voyage - ein Zirkus war in Dresden

Vorbemerkungen

Wenn in Dresden ein Zirkus auf der Cocker-Wiese steht, dann ist das einen Anknüpfung an einige sehr alte Traditionen. Einerseits, was Dresden betrifft und andererseits, was den Zirkus betrifft.
Zirkus, das hieß bis zum 13. Februar 1945 für Dresdener hauptsächlich Sarrasani in der inneren Neustadt, das “Cirkus-Theater der 5.000”, erbaut vom sehr erfolgreichen früheren Dressur-Clown Hans Stosch-Sarrasani senior. Unter diesem Prinzipal arbeitete auch Otto Sailer-Jackson als Tierlehrer, der allerdings im Februar 1945 bereits Zoo-Inspektor, mit dem Geschäftsführer gemeinsam die Aufgaben des für den “Endsieg” zur Wehrmacht einberufenen Direktors erfüllen musste. Otto Sailer-Jackson, ein Schweizer Bub mit frühzeitiger Erfahrung als Präparator und Tierfänger, lernte bei Carl Hagenbeck die zahme Dressur von Wildtieren - ohne Peitsche, Revolver und Gebrüll. Carl Hagenbeck hatte sie 1890 in seinem Zirkus in Hamburg eingeführt, wobei ein großer Teil des Publikums natürlich nach wie vor den todesmutigen Dompteur in Angesicht der Bestien sehen wollte.
Otto Sailer-Jackson nannte sich jedoch offen und (selbst-)bewusst “Tierlehrer“. Er billigte dem Tier eine Individualität zu und übte keinen Zwang aus, um Tiere zu Kunststücken zu bringen. Gerade der natürliche Spieltrieb von Großkatzen bot ihm eine Fundgrube an Möglichkeiten. Wieder zu sehen war in der DDR die zahme Dressur bei Hanno Coldam (“Löwenrasur”) und der Dresdnerin Ursula Böttcher (NPT, weltweit erste und bisher einzige Frau, die Eisbären präsentierte, u.a. “Todeskuss”, “Tanz mit dem weißen Riesen“ - Böttger war nur 1,58m “groß“.

Einem Löwen mit süßem Eischnee die Mähne (zwecks “Rasur”) zu beschmieren oder einem Eisbären einen Leckerbissen von Mund zu Maul zu überreichen - das geht nicht mit eingeschüchterten oder auch nur unwilligen Tieren. Otto Sailer-Jackson schrieb, solche Vorführung funktioniere nicht mit unwilligem Müssen sondern nur mit “freudigem Dürfen”. Natürlich neigen auch Tiere gelegentlich zu kleinen Flegeleien. Darin besteht die Kunst des Tierlehrers, mittels körpersprachlicher Kommunikation das Tier auf später zu vertrösten, wenn Jux und Tollerei wieder angebracht sind. Rudolf Born (“Mein Tiger Bombay”, nicht zu verwechseln mit dem Dresdener Bildhauer und Hochschullehrer gleichen Namens) oder Georg Weiß, (“Start in die Manege”) dessen gemischte Raubtiergruppe von Ursula Böttcher 1960 zunächst betreut wurde, hatten die “zahme Dressur in der DDR so weit etabliert, dass die öffentliche Meinung keine “wilde Dressur” mehr erwartete. An die Stelle von Sensation, Furcht und Schrecken traten Witz, Sympathie und Bewunderung für das harmonische Zusammenspiel zwischen Tierlehrer und dem Tier. Es wurden sogar die charakterlichen Eigenarten der Tiere, ob Phlegma, Spaß am Schabernack oder hohe Sensibilität zum Gegenstand der Vorführung gemacht. Jeder nach seinen Fähigkeiten, “Jedem nach seinen Bedürfnissen“. - sozusagen.

Dresden vor Ostern 2017

Die Zeiten haben sich geändert. Als im Frühjahr 2017 auf der Cockerwiese in Dresden der “Circus
Voyage” sein Zelt aufbaut, wird in kostenlosen Werbeblättern der Vorwurf der “Tierquälerei” vorbeugend abgefedert.

Das klassische Zirkusunternehmen brachte nach Dresden einen bunten Mix aus Artistik, Dressur und Clownerie unter dem zusammenfassenden Titel "Circus unter Wasser". Tatsächlich eine nasse Angelegenheit, bei der allerdings mehr Artisten abtauchten als Tiere. Selbst das Flusspferd "Yedi" kam trockenen Fußes in die Manege - sein Reisebassin konnte man nur in der Tierschau besichtigen. Dessen ungeachtet verdient der Zirkus Respekt. Er sieht sich als Tierheim für exotische Großtiere und kann tatsächlich mit Erfolgen in der Haltung aufwarten. Das ist auch notwendig, denn seit den 1980er Jahren wurden nach Deutschland keine Tiere mehr importiert.

Alle Tiere, die heute im Zirkus beheimatet sind wurden entweder im Zirkus geboren oder kamen vor dem Washingtoner Artenschutzabkommen noch als Waisen (u.a. wurden die Eltern durch Wilderer getötet) nach Europa.
Die Vorstellung zeigte auch, dass sich die Zirkus-Leitung fast mehr um die Tiere sorgt als um die
Zuschauer. Die ehrfürchtige Ernsthaftigkeit, mit der die Vorstellung zelebriert wurde, konnte auch der Clown - natürlich maritim - als Matrose kostümiert, kaum aufhellen.
Dem Zirkus ist einfach mehr Fröhlichkeit zu wünschen. Und die muss wahrscheinlich vom Personal ausgehen. Möglich ist Freilich, dass "Tierschützer" den Machern ein wenig die Suppe versalzen haben. Anscheinend sollen die in Zoo oder Zirkus geborenen Tiere "artgerecht"- in freier Wildbahn - ihr Leben beschließen. Dann hätte Yedi nur eine statistische Lebenserwartung von 45
Jahren statt von 49 Jahren  "im Joch der Arena". Die Zebras und Giraffen dienen bekanntlich draußen als Löwenfrühstück und Zirkuspferde gibt es in freier Wildbahn überhaupt nicht. Müssen wohl ausgestorben sein. Genau wie sämtliche Hundearten, die der Mensch noch immer in Sklaverei hält.
Mein Eindruck war, dass die Zirkustiere durchaus mit ihrem "Beruf" einverstanden sind.

Quellen:
Sailer-Jackson: “Löwen, meine besten Freunde”,
Von Ende: Circenses - Spiele auf Leben und Tod, Henschelverlag Berlin, DDR, 1988
Fotos: http://www.circus-voyage.de




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