Montag, 24. Mai 2010

Dresden sang und musizierte

Ein Russe aus Berlin moderiert sechs Klangkörper auf der Repnin-Treppe
von Reinhard Heinrich 
Das hat sich der Generalgouverneur von Sachsen (1813-1814) Fürst Nikolai Grigorjewitsch Repnin-Wolkonski (Bild) vielleicht doch nicht träumen lassen:

Russische Volkslieder - vom einsamen Birkenbaum bis "Kalinka", abgewechselt von Robert Schumann und dem (Wilhelm!) Müller, dessen Lust  das Wandern war, dann wieder die Polowetzer Tänze aus "Fürst Igor". Ein musikalisches Programm der kompletten deutsch-russischen Romantik in Volks- und Hochkultur erklang auf der Treppe zur Brühlschen Terrasse. Ein besserer Ort hätte es nicht sein können, wenn auch die Treppe seit Jahrzehnten der ganz gewohnte Platz dieser Veranstaltung ist. Und ein besserer Klang auch nicht.

Schließlich hätte es ohne den russische Gouverneur diese Treppe nicht gegeben. Er befahl ihren Bau und beauftragte Gottlob F. Thormeyer mit dem Entwurf. Und beendete damit endgültig, aller Welt sichtbar in Stein erbaut, das Zeitalter des Absolutismus in Sachsen. Das Volk hatte fortan Zugang zu Brühls Eigentums-Terrasse. Merkwürdig, wie ein (aufgeklärter) russischer Fürst Elemente der Demokratie nach Sachsen brachte, statt daß Napoleon Bonaparte als  "Sendbote der Revolution" sie von Frankreich her eingeführt hätte. Nein - Thormeyers Repnin-Treppe (oder Repnins Thormeyer-Treppe) ist ein heimliches russisches Denkmal in Sachsen, mit kulturell Bahn brechender Wirkung. Nur recht und billig war es, daß letzten Sonnabend dort die "große russische Seele" in beiderlei Sprachen sang.


Höchstens hätte man noch das Kügelgenhaus nehmen können. Immerhin war Wilhelm v. Kügelgen in St. Petersburg geboren und seiner Mutter Muttersprache (wenigstens eine davon) war Russisch.  Aber da wären die über tausend Dresdner nicht rein gegangen, die sich den Ohren- und Kehlenschmaus nicht entgehen lassen wollten. Ja auch Kehlenschmaus, denn sie sangen mit, wo sie nur konnten. Nur bei "Kalinka", da gab es große Textunsicherheit im deutschen Publikum - bei den deutschen  Strophen. Die kannte fast keiner. Beim Refrain auf Russisch klappte dann wieder alles.

Und an der Seite, vor dem alten Landtagsgebäude, saß auf seinem Throne Friedrich August der Gerechte, von Ernst Rietschel in Bronze geformt (und darum große Kunst), nachdenklich zuhörend, den gesenkten Blick seit 2008 (Zufall?) auf  den Plasterstein geheftet, von dem aus 1813 Napoleon die Parade abnahm (eines der beiden "kleinsten Denkmale" Dresdens). Da konnte er nun über seine Vasallentreue gegenüber dem "Empereur" nachdenken - und  russische Lieder hören.

Den Moderator des grandiosen Abends Wladimir Kaminer (Bild) kannten die Dresdner bisher mehr als satirischen Autor und unterhaltsamen Leser seiner Geschichten im Haus des Buches. Ihn als "Fachmann für deutsch-russische Beziehungen"  hier einzusetzen zeugt vom Humor der Veranstalter wie vom Bestreben, die musikalischen Werke der deutsch-russischen Romantik auch ein wenig auf den Boden der gegenwärtigen Tatsachen zu holen. Und das ist gelungen.

Und was die Realitäten betrifft: Schon Clara Schumann ging 1843 auf  Tournee, unter anderem nach Rußland, um 6.000 Taler einzuspielen, damit Familie Schumann etwas zum Leben hatte.

Wir dürfen dankbar sein, daß die Dresdner Musikfestspiele ihre "6.000 Taler" (oder was immer das kostet) bis jetzt noch immer irgendwoher bekommen haben. Wenigstens annähernd. Eine feste Anstellung für Robert Schumann hat es in Sachsen schon in den 1840er Jahren nicht gegeben. Er ging 1849 nach Düsseldorf. Wohin ginge er wohl heute?

Mögen uns wenigstens die Musikfestspiele in Dresden erhalten bleiben!

1 Kommentar:

  1. Danke, Reinhard für diesen unterhaltsamen Text. Für mich ein Grund, die Dinge mal wieder vor Ort anzusehen und beim nächsten großen Abschiedssingen dabei zu sein.

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