Donnerstag, 12. August 2010

Ein Buch über Toleranz - schon das Vorwort bedarf stetiger Aktualisierung

Wozu dieses Buch?

An Stelle eines Vorwortes

„Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen.
Mich läßt die Heimat nicht fort.
Ich bin wie ein Baum, der – in Deutschland gewachsen –
wenn’s sein muss, in Deutschland verdorrt.“
Erich Kästner
Liebe Leserin, lieber Leser,
dieses Beinahe-Vorwort kannst Du getrost überblättern, wenn es Dir gleich ist, warum dieses Buch entstand. Spannend wird es - so hoffe ich wenigstens - erst weiter hinten. Diese überflüssige Seite hier vorn ist für neugierige Leute wie Journalisten, Lehrer, Schwiegermütter und dergleichen, die immer alles ganz genau wissen wollen und daher fragen: Was wollte der Dichter uns damit sagen? Man kann ein Werk der Literatur aber auch einfach wirken lassen. Das ist meist viel besser. Gehen wir also lieber zum ersten Kapitel, wo das Buch anfängt.

Du bist noch da? Also neugierig? Sehr gut! Dann sind wir Verwandte im Geist. Dieses Buch entstand so: Als eine Gruppe Schüler aus Mittelasien die schöne Stadt Dresden kennen lernen sollte, bekam der Gästeführer sehr genaue Anweisungen mit auf den Weg.
Es begann damit, daß es ein Mittagessen ohne Schweinefleisch geben sollte. Die Jungen und Mädchen sind Moslems, denen ihr Glaube den Genuß oder die Verwendung einiger Dinge ver- und dafür andere Dinge ge-bietet. Sie sollten in hier Beispiele von Toleranz aus eigener Anschauung kennen lernen, damit sie andere Menschen akzeptieren. Zum Beispiel solche, die Bockwurst essen. Und das anhand touristischer Sehenswürdigkeiten - und nicht etwa Würstchenbuden! Vor allem, so lautete der Auftrag, sollten sie schöne Dinge sehen, von denen sie dann zuhause ein Leben lang voll Begeisterung erzählen könnten.

So eine Stadtführung sollte ich entwerfen. Und beim Planen, Organisieren und Koordinieren der Einzelheiten wurde klar, daß ein Tag in Dresden nicht ausreicht, um das alles unter einen Hut zu bringen, was hierzu gehört. Das ergibt Stoff für ein ganzes Buch.

Dabei ist Toleranz ein Thema, das man nicht etwa zuerst den Moslems erklären muss.

In unserer Stadt wurden nahe am Neumarkt, direkt vor dem heutigen Verkehrsmuseum, Andersdenkende, genauer: Andersgläubige - geköpft, so im Oktober 1601 der Kanzler Nikolaus Krell.

In Dresden wurde ein von dem weltberühmten Architekten Gottfried Semper erbautes Gotteshaus im November 1938 im Beisein der Feuerwehr niedergebrannt, ein jüdisches, versteht sich. Gehorsame national denkende Deutsche legten das Feuer.

In der Nacht zum Ostersonntag 1991 wurde ein junger Mann von 31 Jahren durch 14 junge Rassisten mitten im Stadtzentrum öffentlich mißhandelt. So gründlich, daß er eine Woche darauf im Krankenhaus starb. Er hatte eine andere Hautfarbe.

Und schließlich gibt es da in Dresden noch ein schönes Gebäude im Stil der Neorenaissance nahe der Albertbrücke: Das Landgericht. Hier tötete mit 18 Messerstichen am 1. Juli 2009 vor den Augen der Justiz, direkt im Gerichtssal, während der Verhandlung, der Angeklagte eine Zeugin, die ägyptische Handballspielerin und Pharmazeutin Marwa El Sherbini, die er zuvor öffentlich beleidigt hatte. Und ein anwesender Polizist schoss, "in bester Absicht" natürlich, erst einmal auf den Ehemann der Frau. Er sah so verdächtig aus. Kunststück - als Ägypter. Er war sehr nahe dabei und er war blutig - von 3 Messerstichen - weil er seine Frau zu schützen versucht hatte. Die 18 Messer aus Stein, die zur Erinnerung an dieses Ereignis in Dresden an 18 Stellen des Stadtgebietes aufgestellt wurden, wurden noch vor ihrer Vollendung beschmiert und beschädigt. Der unterdessen lebenslänglich eingesperrte "Einzeltäter" hat also noch genug "überzeugte Freunde" draußen.

Nein, der Umgang mit Leuten, die vielleicht ein bißchen anders aussehen, anders leben, anders sprechen oder - gottbehüte - anders glauben, als die fantastisch aussehenden, vorbildlich sprechenden und die einzig wahre Wahrheit besitzenden jungen Menschen von hier und heute - das ist ein Thema, über das ich nicht zuerst in arabisch, afghanisch, türkisch, urdu oder hindi schreiben muß, zumal ich diese Sprachen gar nicht spreche.

Das darf ich ruhig erst einmal auf deutsch festhalten. Übersetzen kann man es immer noch, wenn es etwas taugt. Dann sehen wenigstens die Menschen in aller Welt, daß wir hier gar nicht so sind, daß wir an uns arbeiten und einige wenige Irrtümer und Beschränktheiten bereits abgelegt haben.
Und daß es uns gut getan hat, schon viel intolerantens Verhalten zu überwinden, auch wenn noch manches zu tun bleibt.
Und daß das ein Lernprozeß war.
Und - nun geht es los.

(Die nächsten Kapitel folgen vielleicht hier irgendwann - wenn ... ja wenn.)

1 Kommentar:

  1. ich hoffe doch, dass es nicht nur bei der Ankündigung des Buches bleibt ;-)

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