Liebe Genossinnen und Genossen,
ich muss zunächst feststellen, dass ich recht unzufrieden damit bin, dass wir den Beschluss zur vertieften Wahlauswertung erst heute durchführen. Und das zudem ohne eine gründlich vorbereitete, und den Basisgruppen rechtzeitig vorher zugestellte Analyse. Mein mehrfaches persönliches Drängen hat leider nicht ausgereicht, das zu erreichen. Ich habe auch vorgeschlagen, dass in der Mitgliederzeitung zur Wahlauswertung außer den Diskussionsthesen bereits einen Monat vorher erste Diskussionsbeiträge veröffentlicht werden. Mit diesem Ziel hatte ich auch einen umfangreichen Diskussionsbeitrag eingereicht, der allerdings nicht veröffentlicht wurde.
Klaus Sühl hat auf der Gesamt-MV im November einige Ursachen kritisch angesprochen und die Notwendigkeit einer kritischen Auswertung ausführlich begründet. Er schlug auch vor zur Erzielung einer größeren Objektivität, eine Analyse unter Zuhilfenahme externer Kompetenz zu erstellen. Es wäre zielführend gewesen, auf dieser Grundlage durch einen Arbeitskreis für die weitere Arbeit Schlussfolgerungen zu ziehen. Und es wäre notwendig gewesen den Ortsverbänden das alles rechtzeitig bereitzustellen, damit sie sich damit auseinandersetzen und ihre Hinweise geben sowie eigene Schlussfolgerungen ziehen können.
Die heutige Veranstaltung kann in dieser Hinsicht den Beschluss vom November vorigen Jahres nur noch anteilig erfüllen. Trotzdem habe ich die Hoffnung, dass sie uns hilft, den Spiegel vors Gesicht zu halten und uns für die Zukunft schlagkräftiger, besser motiviert sowie weniger divergent oder gar gespalten aufzustellen.
Es wird Euch nicht verwundern, dass es schon zum Wahlergebnis, und zu den Ursachen der Ergebnisse und erst recht zum damaligen aber auch zum heutigen Zustand im Stadtverband recht unterschiedliche Wertungen gibt. Das hat sich auch in dem Thesenpapier von Jens Matthis und mir niedergeschlagen. Aber ich halte es schon für einen gewaltigen Fortschritt, wenn wir heute einen Schritt tun, uns gegenseitig wieder zuhören zu lernen, wenn wir lernen unterschiedliche Wertungen zu akzeptieren und trotzdem gemeinsam nach Verbesserungen und Veränderungen zu suchen. Unser Thesenpapier hat sich von dieser Akzeptanz leiten lassen. Es zeigt im Ansatz das Bemühen offener als bisher darüber zu reden und zukünftig mehr bunte Gemeinsamkeit zu fördern, die uns alle voranbringt.
Wenn dagegen einige meinen, dass wir heute lediglich einen Haken hinter einen ungeliebten Beschluss setzen wollen, dass wir die Toten ruhen lassen mögen, dass wir „doch nun endlich nach vorne schauen“ wollen,
der vergisst die Deutlichkeit der rückläufigen Wahlergebnisse,
der vergisst die Zuspitzungen in unserem Stadtverband, die es gegeben hat,
der vergisst, dass wir eine dreistellige Zahl von Genossen durch Austritte verloren haben und dass noch immer monatlich Austritte unsere Kraft dezimieren,
der vergisst, dass die gleichen Ursachen unterschwellig fortwirken und jederzeit eine neue Zuspitzung bewirken könnten.
Vor allem aber geht es um Ehrlichkeit vor uns selbst und letztendlich auch vor unseren Wählern. Vor allem geht es um ein produktives und kritisches Miteinander, da sonst die Apathie des Abwartens droht. Am Ende geht es darum, dass wir uns unsere schöpferische Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Zuständen bewahren, die jeden von uns und uns gemeinsam in seinem Handlungsrahmen antreibt.
Andererseits sage ich auch deutlich: Ehrlichkeit ist wichtig, aber eine Auswertung ist kein Gericht zur Suche des Schuldigen, ist kein Podium der Generalabrechnung, auch - wenn jeder zu seiner Verantwortung selbst stehen sollte. Was wir brauchen, - ist ein Klima, das aus unterschiedlichen Ideen und Meinungen zu gemeinsamer Aktion führt. Kritik muss erlaubt sein, aber darf nicht lähmen oder vernichten, egal in welcher Richtung: Vereinfacht gesagt- weder „von oben nach unten oder von unten nach oben“. - Schließlich hat niemand die Wahrheit gepachtet, und es muss auch erlaubt sein, dem Bürger sichtbar zu machen, dass in dieser Partei nach den besten Antworten gesucht wird. - Was allerdings nicht erlaubt sein sollte, ist - den Träger einer Meinung zu diskreditieren, in die Ecke oder bloß zu stellen und zu verunglimpfen. Und es ist völlig untauglich, kontraproduktiv und Klima vergiftend, Kritiker aus der Diskussion, aus der Aktion und schließlich aus jeglichen Verantwortungen auszugrenzen, wie das in der Vergangenheit geschah.
Insofern bin ich noch immer der Meinung, dass der 2007 endgültig eingeschlagene Weg der Trennung in Gute und Böse das Klima in unserem Stadtverband bis heute beschädigt hat und weiter schadet. Die damit verbundene Zuspitzung und die Austritte vieler Genossen hat das Bild unserer Partei in Dresden für die Bürger in der Öffentlichkeit im Zeitraum vor den Wahlen völlig unüberschaubar gemacht. Das Wahlergebnis ist neben den allgemein bundes- und sachsenweit wirkenden Faktoren stark davon geprägt, dass sich die öffentliche Meinung gefestigt hat: „Die sind mit sich selbst beschäftigt, und die Bürgerinteressen stehen letztlich im Hintergrund.“ Immer wieder kamen solche Fragen: „wieso ist auf einmal alles falsch, was die allen bekannten Genossen in den 90er Jahren gemacht haben?“
Mir ist auch klar, dass zu der Frage, ob die Spaltung der Fraktion richtig oder falsch war, hier und heute keine einheitliche Meinung zu erzielen sein wird. Es dürfte aber für alle unbestritten sein, dass man es soweit nicht kommen lassen sollte im Umgang miteinander und dass der Schaden zumindest groß ist. Es dürfte auch unbestritten sein, dass ein kritisches, offenes Klima Voraussetzung für gute und ideenreiche Politikansätze ist und dass man dabei die abweichende Meinung akzeptieren muss, ja sogar als schöpferischen Widerpart eigentlich herausfordern muss.
Dazu braucht man Ideenträger und Persönlichkeiten, Kompetenz, die man nicht verjagen darf. Dazu braucht man aber auch den Willen zur gemeinsamen Aktion, Loyalität und man braucht moralische Sauberkeit.
Die Älteren unter uns haben erlebt, zu welchen Verkrustungen Disziplinierung und Hierarchiedenken oder gar vorauseilender Gehorsam führt. Er ist wohl eine Weile ganz bequem, aber macht apathisch und unkreativ. Was wir brauchen - ist wieder mehr Motivation in unseren Reihen.
Ein Wort auch zu dem in allen Parteien feststellbaren Rangeleien um Posten, Mandate und Ämter im politischen Apparat. Was uns aber von den anderen unterscheiden sollte: - Wir sind eine Partei der sozialen Gerechtigkeit, da muss Achtung des Anderen, Loyalität und Gerechtigkeit auch im Umgang miteinander der Maßstab sein. Die materielle Abhängigkeit von politischem Amt, egal welcher Kategorie macht prinzipiell anfällig für Dominanz von Eigeninteresse, für Bildung von Unterstützerkreisen, von Machtspielchen und Geschäftsordnungstricks. Wir müssen uns dessen bewusst sein und bewusst gegensteuern. Das geht nur durch Basisdemokratie und Mitbestimmungsbereitschaft der Genossen.
Die vorgenannten Probleme hängen alle damit zusammen, dass die Praxis der pluralistischen Demokratie empfindlich gestört wurde und m. E. auch noch gestört ist. Allein die schleppende Erfüllung des Parteitagsbeschlusses beweist mir das.
Die Thesen enthalten deshalb im letzten Punkt einige Schlussfolgerungen für die zukünftige Arbeit, die wir nicht bloß zur Kenntnis nehmen sondern wirklich beherzigen sollten, um wieder ein kreatives, offenes und konstruktives Klima zu erreichen.
Ich sehe aber noch eine anderen Ursachenkomplex, über den wir unbedingt nachdenken müssen: Das ist die Strategie unseres kommunalpolitischen Handelns, die in der These 7 als Frage aufgeworfen ist. Was meine ich damit?
Wir müssen uns die Frage stellen: Wen haben wir mit unserer Kommunalpolitik besonders angesprochen? Wo waren wir besonders verankert? - Und natürlich, wo liegen unsere schwachen Felder?
In der Vergangenheit – bei früheren Wahlen - hatten wir starke Sympathie bei den älteren Bürgern. – Auch haben wir durch anerkannte Kompetenzträger sowie durch sachliches Wirken die Kreise der Intelligenz gut ansprechen können. Dabei war die kommunalpolitische Sachbezogenheit eine besondere Stärke. Konkrete Gestaltungsvorschläge spielten eine große Rolle und haben zur Anerkennung der damaligen PDS geführt. Wir haben uns auch sichtbar für die Interessen der Benachteiligten der Vereinigung eingesetzt, indem wir die Gegenwehr gegen soziale Eingriffe deutlich gemacht haben.
Demgegenüber bewerte ich unser kommunalpolitisches Handeln vor der letzten Wahl und auch derzeit etwas anders. - Ich stelle fest, dass sich eine gewisse Einseitigkeit der politischen Aktivitäten auf Kritik an der Verwaltung und an der CDU herausschält und dass dagegen die eigenen Gestaltungsvorschläge in den Hintergrund treten. Außerdem ist es m. E. in der letzten Wahlperiode nicht gelungen in der Öffentlichkeit klarzustellen, dass es schließlich dem Stimmengewicht der Fraktionen des linken Spektrums und speziell der noch vereinten Linksfraktion zu danken war, wenn sich die soziale Komponente der Verwaltungspolitik als auch der damaligen CDU-Fraktion verstärken musste. Außerdem sind - bei aller Kritik an einzelnen Entscheidungen - durch fraktionsübergreifende Kompromisse auch sichtbare Verschiebungen erreicht worden. Als Beispiel seien nur die enorme Erweiterung der Mittel für Schul- und KiTa-Sanierung zu erwähnen, aber auch Erweiterungen im Jugendbereich, beim Sozialpass oder auch beim Fahrradwegeausbau. Durch öffentliche Kritik aber an jeglichen Kompromissen wurden die positiven Effekte allein der CDU zugeschrieben und überlassen.
Wir sollten uns also auch in der Zukunft nicht darauf beschränken, als Protestfraktion wahrgenommen zu werden, sondern stärker mit eigener Kompetenz und Gestaltungswillen agieren. Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe für die Partei und für die Mandatsträger. Dabei ist es unumgänglich, mit allen Fraktionen nach mehrheitsfähigen Lösungen zu suchen. Es ist auch notwendig stärker aktiv die Sachkompetenz der Verwaltung zu nutzen und herauszufordern. Ich konnte in den 18 Jahren meiner Stadtratstätigkeit beobachten, dass in den Fachämtern oft sehr sachorientierte Lösungen erarbeitet werden, die dann erst im weiteren Entscheidungsprozess in der Verwaltungsspitze oder in den Mehrheitsfraktionen gekippt wurden.
Im Mittelpunkt meiner Überlegungen steht der Gedanke, dass es nicht ausreicht, allein den Protest der sozial Schwachen zu verkörpern. Unseren Einfluss können wir nur vergrößern, wenn wir für alle sichtbar und auf allen Feldern, wie auch Kultur, Stadtentwicklung, Verkehr und natürlich bei der Mitwirkung an der Haushaltgestaltung aktiver werden. Das verlangt fraktionsübergreifende Kooperations- und Kompromissfähigkeit. Immerhin gibt es auch in den Reihen der „bürgerlichen“ Fraktionen sehr unterschiedliche Wertenuancen und vor allem Bereitschaft zum Sachgespräch.
Ganz wichtig ist auch, dass wir das Feld der Berufstätigen mittleren Alters ansprechen. Denn dort findet in hohem Masse die Meinungsbestimmung statt. Das geht aber nur, wenn wir auch dieses Potential in den eigenen Reihen stärker für Mandate und Funktionen aktivieren und Verständnis für ihre zeitliche Beengtheit aufbringen. Die Dominanz hauptamtlicher Politiker muss also bewusst reduziert werden. Das geht auch nur, wenn wir wieder stärker in Bürgervereinen, Verbänden, Initiativen, Interessengruppen selbst aktiv sind. Das verlangt aber auch, dass wir neue Mitglieder nicht allein im studentischen Bereich gewinnen, sondern auch aus berufstätigen Schichten.
Mit dem Wunsch, dass wir nach dieser Basiskonferenz die angesprochenen Ursachen weiter verinnerlichen und uns andererseits nicht von den anstehenden politischen Tagesaufgaben abhalten lassen,
mit dem Wunsch, dass wir unsere Vision mit mehr spürbarer Euphorie und Ungeduld in die Öffentlichkeit bringen und
mit dem Wunsch, dass wir ein Klima entwickeln, das uns selbst motiviert, möchte ich meinen Beitrag beenden
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