von Reinhard Heinrich
"Kundendienst" heißt das Stück, das vorigen Freitag als möglicherweise letzte Premiere der Komödie im WTC über die Bühne ging. Ging? - Über die Bühne tanzte, brillierte, slapstickte, rotierte es. Denn Rotation ist dank der zwei kleinen Drehbühnen ein tragendes Element in dem Stück, das der Wiener Regisseur und Theaternarr Marcus Ganser von einer Farce erfolgreich zur Tragikomödie umformte.Mag sein, daß der Autor Curth Flatow (Jahrgang 1920), "der erfolgreiche Vertreter des Boulevardtheaters" (Wikipedia), tatsächlich glaubt, seinem Publikum nicht allzu viel Tiefgang zumuten zu dürfen - Regisseur Ganser jedoch glaubt das nicht und kitzelte tiefere Wahrheiten aus so gut wie allen "komischen" Situationen heraus - mit dem Effekt, daß dem Publikum auch mal das Lachen im Halse stecken bleiben kann. Natürlich ist das erst einmal lustig, wenn Gilbert Dumont (Heinz Rennhack) seinem Gefängniswärter (Gisbert-Peter Terhorst) beichtet, welch hohen Erholungswert die Haftstrafe für ihn hat. Aber das ist in Wahrheit einen Aussage über "das Leben draußen". Die Vor-Geschichte wird aus der sicheren Gefängniszelle heraus erzählt. Eine Idylle, wie wir sie aus Olsenbanden-Filmen kennen. Dazu paßt die geradezu liebevolle Betreuung des allerdings ungewöhnlichen Häftlings durch den Wärter Thibaut. Doch wenn Dumont von seinem Leben vor dem Knast erzählt, dann bricht die Hölle herein in diese Zelle. Draußen - da zählt nur der Erfolg, gemessen am generierten Umsatz des Außendienstlers.
Alle machen mit, niemand fragt, ob der Verkäufer Dumont nicht ein "Verbrechen" nach dem anderen an der bürgerlichen Moral begehen muß, um wirklich alle zufrieden zu stellen - Madame Dumont eingeschlossen. Und Verbrechen sind es sowieso erst, wenn sie vor den Richter kommen. Schließlich macht er - im Interesse der Firma - allen seinen Kundinnen recht viel Freude und scheitert erst am egoistischen Streben seiner drei parallelen Ehefrauen nach dem Alleinbesitz des charmanten Gauklers. Hier ist Rennhack in seinem Element. Er spielt wie der Teufel und gibt zwischendurch noch Requisite und Inspizient. Denn umgekleidet für die nächste Rolle wird auf offener Bühne - nicht ohne brüllend komische Effekte. Da richtet Rennhack noch schnell die Krawatte seine Chefs, bevor er selbst in "die Zeit davor" springt - während der Große Chef schon längst drin ist und bereits mit seinem Außendienstler telefoniert. So dick aufgetragen sieht man das selten. Eine Schau!
Die nicht ginge ohne Gisbert-Peter Terhorsts teils intensives (Wärter, Firmenchef), teils zurückhaltendes (Butler, Hausmädchen) Spiel. Es scheint, als ob er sich in den kleinen von den - und für die - großen Rollen ausruht. Aber wo ist da Ruhe - 100 Minuten immer auf der Bühne - und fast immer vorn? Terhorst ist die Überraschung des Abends (besonders, wenn man zur rechten Zeit Kinder hatte und sich an seine 8 Jahre als doch recht braver "Peter" auf dem "Liederspielplatz" im Freitags-Abendgruß erinnert). So überzeugend komisch kann heute nur sein, wer seine Arbeit sehr ernst nimmt.
Wer sind nun die drei Frauen, zu denen - erlösend - am Schluß noch eine vierte kommt? Claudia Wenzel. Ende der Durchsage. Irgendwie schafft sie es sogar am Ende, drei anwesende Frauen zugleich zu spielen. Und zeigt damit ihre Fähigkeit, praktisch jede Frau zu sein, die gebraucht wird. So kennt man sie vom Fernsehen - allerdings ohne diese Verwandlungen auf offener Bühne. Hart gefordert wird sie - und erfüllt höchste Ansprüche, wie sie es gelernt hat. Perfekt.
A propos gelernt: Die Musikhochschule "Carl-Maria von Weber", die Theaterhochschule "Hans Otto" und die Filmhochschule Potsdam-Babelsberg haben jene zwei Herren und die eine Dame hervorgebracht, die hier zu dritt 12 Rollen spielen, als hätten sie nie etwas anderes getan. Das ist zwar mit Genie und Talent hübsch zu erklären - aber ohne Handwerk und Disziplin nicht zu machen. Und ohne "Bodenpersonal" auch nicht. Und so ließ Regisseur Marcus Ganser (Bild links) bei einem der Schlußvorhänge das "Kollektiv von hinter der Bühne" ganz selbstverständlich (auf dem Sofa!) mit erscheinen. Was so selbstverständlich nicht ist. Man sieht es, offen gesagt, eher selten. Aber "das ganze Uhrwerk" der Inszenierung hatte es verdient. Nicht nur "Zeiger und Zifferblatt" hatten Anteil am Premierenapplaus.
Ein Theater, das solche Ensembleleistungen auf die Bühne bringt, wird keine Not haben, seine Zuschauer mit zu nehmen, wenn es an den neuen Spielort an der Leipziger Straße geht. Man sollte das gesehen haben!
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