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Maik mit seinen Eltern - dem Geschäftsmann und der Alkoholikerin |
Wie Tschick in der Gegenwart angekommen ist
Als Wolfgang Herrndorf 2010 seinen Jugendroman „Tschick“ veröffentlichte, konnte er vielleicht nicht ahnen, welch prachtvolles Spektakel die Landesbühnen Sachsen da zaubern würden. Vom Theater angekündigt als Rock-Oper, vom Film gehandelt als Roadmovie und den MDR-Kultur-Hörern als herzerfrischende Lausbubengeschichte bekannt, hat der Stoff den Komponisten Ludger Vollmer ermutigt, fast sämtliche Opern-Konventionen über den Haufen zu werfen. Und es tut der Geschichte gut. Möglicherweise liegt das auch daran, dass der Komponist mit der Librettistin Tiina Hartmann offensichtlich sehr gut zusammengearbeitet hat.
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Tanjas Party - Maik und Tschick sind nicht geladen |
In 29 Szenen, die dramaturgisch raffiniert - Chapeau für Gisela Zürner – fast nahtlos, trotz Wechsel von Ort und Zeit, ineinander übergehen, erlebt der Zuschauer eine Serie von Sprüngen der Helden. Von der Verantwortungslosigkeit - ein Lada wird geklaut - über das Abenteuer - Begegnungen mit ausschließlich dem 1 Prozent guter Menschen in dieser zu 99 Prozent schlechten Welt – hinein in die Verantwortlichkeit führt der Weg vom Maik (Johannes Leuschner), Tschick (Michael Zehe) und Isa (Kirsten Labonte). Diese Begegnungen sind von überwiegend sympathischer Verrücktheit. Alles ist ernst und komisch zugleich. Und große Gefühle werden nicht behauptet – wie in herkömmlichen Opern – sondern in der Entstehung glaubwürdig gezeigt.
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In der Rolle des Lada: ein Scooter |
Ein Theater wie die Landesbühnen, oftmals zu Gast an vielen Aufführungsorten, kann selbstverständlich auch mit Gästen auf der Bühne souverän umgehen. Michael Zehe (Tschick) und Johannes Leuschner (Maik) fügen sich als Profis hervorragend ein in das Ensemble, wo Amateure (der Jugendchor des Gymnasiums Coswig) den hauseigenen Chor der Landesbühnen überzeugend verstärken. Und gerade die 24 Kinder und Jugendlichen unter der Leitung von Fanny Kaufmann brachten die Premiere zu einem besonders glanzvollen Abschuss, indem drei oder vier Schülerinnen der sechsten und siebenten Klasse nach dem Schlussbeifall durch Foyer hüpften, ja fast flogen, um Sebastian Ritschel (Inszenierung, Ausstattung, Licht) zu belagern und ihm für die offensichtlich wundervollen Proben-Monate zu danken, die sie – wie Tschick und und Maik – zwei bis drei Schritte – oder Sprünge(?) – ganz sicher menschlich voran gebracht haben. Das schafft wahrscheinlich keine Schule ohne Theater – und auch kein Theater ohne Schule. Die Autogramme des Meisters in ihren Tschick-Büchern können sie ein Leben lang daran erinnern, was man schaffen kann, wenn man von Leuten lernt, die etwas können. Ob sie den musikalischen Leiter Hans-Peter Preu ebenso belagert und umschwärmt haben, war im Foyer nicht ersichtlich und kann daher nicht überliefert werden. Ohne (etwas laute) Elblandphilharmonie wäre das Ganze jedenfalls nicht gegangen.
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Familie Friedemann |
Sensationell auch die Maske (Andreas Billan, Astrid Mohr, Ines Zierenner), vor allem bei der skurrilen Gestaltung der schrägen Familie Friedemann, wo den flüchtigen Protagonisten ein urgesundes Bio-Mittagsmahl mit Kompott verabreicht wird – nicht ohne Tischgebet, was die Gäste ersatzweise mit einem Pioniergruß quittieren. Dass die Maskenbildner dabei offensichtlich auf Erfahrungen aus Humperdincks „Hänsel und Gretel“-Aufführungen an der Felsenbühne zurückgegriffen haben, macht die Sache nicht schlechter sondern eindeutig lustiger.
Die Reise durch den „Wilden Osten“ in die Walachei endet bekanntlich wie „Die Bremer Stadtmusikanten“, die auch nie nach Bremen gelangen, aber ganz zufrieden sind mit dem statt dessen erreichten.
Text: Reinhard Heinrich
Fotos: Matthias Rietschel
Nächste Aufführungen:
- 03.03.2018 - Landesbühnen (Radebeul)
- 16.03.2018 - Kulturhaus Freital
- 03.05.2018 - Kleines Haus (Dresden)